Der Nachtmahr

Langsam trat der in Leder gekleidete Mann in den Schein des Feuers. Er hielt die Hände sichtbar vor sich ausgestreckt und zeigte damit, dass er keine bösen Absichten hatte.

„Frieden! Habt ihr etwas dagegen, wenn ich mich zu euch setze?“

Die Menschen am Feuer betrachteten ihn halb misstrauisch und halb neugierig. Sie hatten ihn und sein Pferd schon beim Näherkommen gehört und verstohlen nach ihren Waffen gegriffen. Doch der Mann in den Ledersachen wirkte tatsächlich nicht bedrohlich, obwohl er bewaffnet war. Er mochte vielleicht dreißig Jahre alt sein und trug sein dunkles Haar lang und offen. Lediglich die Schläfenhaare waren zu dünnen Zöpfen geflochten und im Nacken zusammengebunden. Seine Kleidung aus feinem, weichem Hirschleder kennzeichnete ihn gleich als einen der Waldläufer, die es in den großen Wäldern im Norden immer wieder gab. Auch der meisterhaft gearbeitete Bogen, den er über der Schulter trug, legte den Schluss nahe, dass er Jäger war.

„Wohlan. Setzt euch, Waldläufer. Ihr könnt für die Nacht unser Lager teilen, wenn ihr mögt“, lud ihn der Anführer der Karawane bereitwillig ein. Mit einem feinen Lächeln bedankte sich der Waldläufer bei ihm.

„Habt Dank. Das nehme ich gerne an. Ich habe noch eine Hirschkeule hinter dem Sattel. Vielleicht kann ich damit zum Abendmahl beitragen.“

„Nur zu gerne! Frisches Fleisch haben wir seit Lauenthal nicht mehr gesehen“, grinste eine junge Frau und erhob sich, um ihm das angebotene Wildbret abzunehmen.

„Verratet ihr uns euren Namen?“ wollte der Karawanenführer interessiert wissen, als sich der Waldläufer am Feuer niederließ, während sich die junge Frau anschickte, die Keule zu braten.

„Mein Name ist Nathan. Ich bin Jäger.“

„Gibt es hier in den Sümpfen denn viel zu jagen? Ich dachte eher, die Waldläufer gehen ihrer Profession in den Wäldern des Nordens nach.“

„Das stimmt. Aber ich bin auch nicht auf der Jagd nach gewöhnlichem Wild.“

Der Karawanenführer blickte ihn erstaunt an.

„Nicht?“

„Nein. Ich jage ein anderes Tier. Viel wertvoller und viel seltener.“

„Was kann das sein? Ihr jagt doch nicht am Ende Menschen?“ lächelte die junge Frau nervös, die Nathan die Hirschkeule abgenommen hatte. Der Waldläufer erwiderte ihren Blick belustigt.

„Aber nein. Keine Angst. Ein Kopfgeldjäger bin ich nicht.“

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