Erinnerung

Langsam lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und blickte aus dem Fenster. Die Sonne schien. Es war Frühling. Doch seine Gedanken waren nicht mehr hier. Sie waren ganz weit fort. Vor drei Tagen hatten sie seine Frau beerdigt. Sie fehlte ihm und er vermisste sie so sehr, dass ihm das Atmen schwer wurde. Eine Träne rann aus seinem Augenwinkel herab. Müde hob er die Hand und wischte sie fort. Er war unrasiert. Wie hätte sie mit ihm geschimpft! „Stacheltier“ hatte sie ihn immer scherzhaft genannt, wenn er mal aus Faulheit das Rasieren sein gelassen hatte. Jetzt war sie fort und würde nie wieder mit ihm schimpfen.

Wie lange waren sie zusammen gewesen? Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Und doch erinnerte er sich genau an den Tag, als er sie das erste Mal getroffen hatte.

Damals war er noch ein Student gewesen. Sie hatte im Vorzimmer des Herrn Professor gesessen und war die Institutssekretärin gewesen. Eine kleine, graue Maus, ihr blondes, feines Haar in einem festen Zopf zusammengebunden und eine dicke Brille auf der Nase. Er hatte sie gar nicht beachtete, denn sie war ihm uralt vorgekommen. Er selbst war damals groß gewesen und hatte nicht schlecht ausgesehen. Manch ein Mädchen hatte mit ihm ausgehen wollen. Er hatte nie Probleme gehabt, eine für das alljährliche Unitanzfest zu finden.

Er war zum Professor bestellt worden, um über das Thema für seine Abschlussarbeit zu sprechen. Sie hatte ihm freundlich einen Platz angeboten und ihm gesagt, dass es noch einen Moment dauerte. Dann hatte sie sich wieder ihrer Schreibmaschine zugewandt und weiter an dem Brief getippt, den sie zu schreiben hatte. Die Tasten hatten nur so geklappert und gerattert. Sie war schnell gewesen beim Tippen. Ab und zu sah sie zur Seite auf ihre Vorlage. Dabei konnte er von seinem Platz aus ihr Profil erkennen und stellte fest, dass ihr Gesicht noch ganz glatt und faltenlos war.

Schließlich war der Professor gekommen und hatte ihn mitgenommen, so dass er die kleine Sekretärin wieder vergaß.