Der Weihnachtsmarkt

 

 

 

Ein eisiger Wind fegte durch die Straßen der kleinen mittelalterlichen Stadt und zerrte an den Lichterketten, die zwischen den Häusern als Weihnachtsdekoration aufgespannt waren. Nicht viele Menschen hatten sich um diese Zeit und bei diesem Wetter noch auf den Weihnachtsmarkt verirrt. Manche der Buden schlossen bereits oder waren schon zu. Lediglich vom Winterwald, einem künstlichen Wäldchen mit Tannen und Glühweinbuden, drangen noch betrunkenes Gejohle und fröhliche Weihnachtsmusik herüber. Die Frau am Stand mit den selbstgebastelten Weihnachtskarten zog fröstelnd ihren Schal enger um die mageren Schultern. Der Waffelverkäufer von nebenan pustete unwillig in seine blaugefrorenen Finger und schob sie dann in die Taschen seiner dicken Daunenjacke.

 

„Was für ein Scheißwetter!“ grummelte er. Die Kerzenverkäuferin auf der anderen Seite des Kartenstands runzelte missbilligend die Stirn bei seiner Wortwahl. Dann entschied sie seufzend:

 

„Ich glaube, ich mache auch Feierabend. Heute kommt sowieso keiner mehr, der etwas kauft. Die sind doch längst alle zuhause.“

 

„Wir halten noch aus!“ grinste der jugendliche Verkäufer am Glühweinstand von gegenüber. Seine Wangen waren gerötet und er wirkte, als hätte er selbst schon das eine oder andere Glas des wärmenden Getränks konsumiert.

 

„Ach, Scheiß drauf! Ich pack‘ auch ein“, fluchte der Waffelverkäufer derb. Es schien ihn zu erleichtern, seiner schlechten Laune auf diese Art Ausdruck zu verleihen. Eigentlich sollte der Weihnachtsmarkt noch bis 16 Uhr geöffnet haben. Aber es war Heiligabend. Wer mochte es den Menschen da verdenken, wenn sie die strengen Vorgaben der Stadtverwaltung zu ihren Gunsten ein wenig beugten. Mit viel Getöse räumte der Waffelverkäufer seine Lebkuchenherzen und Waffeltüten ins Innere des Verkaufswagens und ließ dann krachend die Fensterläden herab. Die hagere Frau vom Kartenstand nebenan zuckte zusammen, wagte aber keinen Protest. Sie fror und hätte sich gerne einen Glühwein genehmigt. Doch der Erlös ihrer Verkäufe in diesem Jahr war gering, viel schlechter als in früheren Jahren. Vielleicht lag es an der Wirtschaftskrise, obwohl Politiker und Experten nicht müde wurden, zu versichern, wie gut es Deutschland doch geschafft hatte, die Krise zu überstehen. Die Frau am Kartenstand merkte davon nichts. Sie schniefte leise und putzte sich verstohlen die Nase, das Taschentuch hastig wegsteckend, als sich zwei junge Frauen näherten. Doch sie warfen nur einen flüchtigen Blick auf die Auslagen und blieben nicht mal stehen. Am 24. Dezember schreibt halt kein Mensch mehr Weihnachtskarten.

 

„Kommen Sie her, meine Damen! Hier gibt es noch Glühwein! Gut gegen die Kälte!“ rief der junge Mann von gegenüber verwegen. Doch die beiden Frauen wehrten belustigt ab.

 

„Besser nicht! Wir müssen noch Autofahren!“

 

„Na dann! Gute Heimfahrt, die Damen!“

 

Als die beiden sich entfernten, sank der junge Mann wieder in sich zusammen und spähte begehrlich zu dem Topf, in dem der Glühwein heißgestellt war.

 

„Tja. Ich mache dann auch mal Feierabend“, meldete sich die Frau mit den Kerzen seufzend. Die hagere Frau am Kartenstand nickte nur mitfühlend.

 

„Tun Sie das.“

 

Der Weihnachtsmarkt
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