Die Eisbahn

Glitzernd lag die Eisfläche zwischen den hohen Bürgerhäusern des Marktplatzes. Es war eine künstliche Eisbahn, die von einer hölzernen Bande eingefasst war. Zu anderen Zeiten bedeckten am Freitag Marktstände den Platz. Doch jetzt nach Weihnachten hatte die Stadt zum Vergnügen der Kinder und für die Touristen die Eisbahn errichtet.

An einem Bretterschuppen am Eingang konnte man sich gegen ein paar Kronen Schlittschuhe ausleihen, wenn man keine dabei hatte. Vor allem Kinder waren von dem Wintervergnügen begeistert. Aber man sah auch jüngere Pärchen und den einen oder anderen, der das Eislaufen richtig gut beherrschte.

Eigentlich war ich zum Einkaufen hergekommen. Ich kannte die Stadt nicht und hielt meinen Stadtplan fest in der Hand. Belustigt stellte ich fest, dass die Eisbahn genau an der Schnittstelle der beiden Einkaufsstraßen lag. Es musste also jeder hier vorbei. Ein verlockender Duft nach gebrannten Mandeln lag in der klaren Winterluft. Richtig kalt war es glücklicherweise nicht. Nur so um die null Grad. Auch die Sonne brach zaghaft durch die dunklen Wolken und verscheuchte das trübe Nordseewetter der letzten Tage. Der Tag versprach also, ganz angenehm zu werden. An der Bande der Eisbahn verhielt ich amüsiert und sah dem bunten Treiben eine Weile zu.

Ein Mann spielte begeistert mit seinen beiden Töchtern. Sie hatten eine Reihe gebildet. Der Mann vorne weg. Dann die ältere der beiden Kleinen und die jüngere zum Schluss. Sie hielten sich aneinander fest und versuchten, im Gleichschritt vorwärts zu laufen. Offenbar wollten sie eine Eisenbahn nachmachen. Ich musste lächeln und meine eigene Kindheit fiel mir ein. Halb vergessene Erinnerungsfetzen an längst vergangene, unbeschwerte Tage. Wie schön es damals gewesen sein musste. Keine großen Sorgen. Keine Angst vor der Zukunft. Einfach nur glücklich sein und nicht an den nächsten Tag denken. Wann hatte ich diese Fähigkeit verlernt? War es erst gekommen, als ich mit dem Studium anfing oder schon vorher zu Schulzeiten? Ich konnte es nicht einmal sagen. Doch ich wusste, dass ich einstmals auch so unbeschwert und glücklich gewesen war. Aber ich hatte es verloren. Und das war traurig. Nachdenklich verließ ich die Eisbahn und wandte mich den Geschäften an der Fußgängerzone zu. Das Einkaufen war schön und machte Spaß. Ich vergaß die Zeit darüber und kaufte mir eine Tüte Mandeln, als ich hungrig wurde. Mit der Tüte in der Hand kam ich wieder an der Eisbahn vorbei und setzte mich auf eine Bank am Rande, so dass ich ein wenig die Füße ausruhen und gleichzeitig zuschauen konnte. Es war voller geworden. Auf dem Eis herrschte jetzt beinahe Gedränge. Ich beobachtete ein junges Pärchen, wie sie sich aneinander festhielten und über ihr eigenes Unvermögen lachten. Sie konnten beide nicht besonders gut eislaufen. Aber sie waren sehr verliebt und schienen die Nähe des anderen zu genießen. Mir wurde ganz warm ums Herz, als ich die beiden beobachtete. Wie schön musste es sein, jetzt mit einem geliebten Freund zusammen hier zu sein. Ich verspürte leise Wehmut und Sehnsucht. Die Zeit meiner ersten Verliebtheit fiel mir wieder ein. Mein erster Freund. Es war schon so lange her, dass ich mich an den Jungen kaum noch erinnern konnte.

Mein Blick glitt weiter und ich beobachtete eine Mutter mit zwei Kindern. Eines saß noch in einer Sportkarre. Das andere, ein kleiner Junge, wollte unbedingt eislaufen. Er plärrte und quengelte. Die Mutter schimpfte mit ihm. Sie wirkte abgehetzt und ein wenig unordentlich. Hektische, rote Flecken breiteten sich auf ihrem eigentlich hübschen Gesicht aus. Da war nicht mehr viel mit Verliebtheit und Leichtigkeit. Und ein Mann war auch keiner mehr bei ihr. Nun ja. Der konnte zur Arbeit sein. Alltag eben. Ich hätte der Frau ein wenig von dem Glück der beiden Verliebten gewünscht.

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