Fachkräftemangel

 

„... hiermit teilen wir Ihnen mit, dass wir uns für einen anderen Bewerber entschieden haben ...“

Sein Blick blieb enttäuscht an dieser Zeile hängen. Er seufzte resigniert.

„Na? Was ist? Wieder eine Absage?“

Claire brauchte bloß in sein Gesicht zu blicken, um die Antwort auf ihre Frage schon zu wissen.

„Ja. Sicher. Man sollte meinen, die Firmen suchen Mitarbeiter. War nicht gestern erst ein Bericht in den Nachrichten, dass es in Deutschland einen Mangel an Fachkräften gibt?“

Bitterkeit schwang in seinen Worten mit. Sie legte ihm aufmunternd die Hand auf den Arm.

„Ach, sei nicht traurig. Du findest schon etwas.“

Ein unverständliches Brummeln war die einzige Reaktion darauf. Dann verzog er sich in das kleine Gästezimmer, das ihnen auch als Arbeitszimmer diente.

„Ich suche nochmal nach Stellen ...“

Eine halbe Stunde später betrat Claire das Arbeitszimmer und trat zu ihm.

„Wir können essen, Schatz.“

„Ja. Gleich.“

Er scrollte den Bildschirm ein Stück herab und las die Stellenanzeigen, die das Internetportal ihm anzeigte. Es waren eine Menge Stellen, bemerkte Claire überrascht. Mehr als fünfzig Seiten. Er war auf Seite 36.

„Und da ist gar nichts bei?“

Er schüttelte unwillig den Kopf.

„Nein. Sieh doch selbst. Alles was sie suchen sind Programmierer oder Konstrukteure. Und Projektingenieure.“

„Dann bewirb dich doch als Projektingenieur“, schlug sie vor. Doch er lachte bitter.

„Hab ich doch schon. Aber wenn die lesen, dass ich Geologie studiert und in der Erwachsenenbildung gearbeitet habe, fliege ich sofort raus.“

„Aber es muss doch jemanden geben, der genau das sucht, was du kannst. Das gibt es doch nicht so oft“, widersprach Claire unverdrossen. Er warf ihr einen hilflosen Blick zu.

„Selbst wenn es mal eine Stelle gibt, wo ich hineinpassen würde, dann ist die sonstwo. In Bayern vielleicht oder in der Schweiz.“

Er brauchte nicht zu erwähnen, dass ein Umzug für sie nicht in Frage kam. Die Kinder waren gerade erst in die Schule gekommen und sie hatten sich ein schönes Haus auf dem Dorf gekauft. Anderswo würden sie nie wieder so preiswert ein so schönes und großes Objekt finden. Außerdem war da noch Claires Arbeit als Fremdsprachensekretärin bei einer großen Computerfirma. Sie hatte schon versucht, ihren Mann dort unterzubringen. Aber Geologen waren in einer Computerfirma etwa so gefragt wie Matrosen in der Wüste.

„Komm erstmal essen“, wiederholte Claire voller Wärme und streichelte ihm im Hinausgehen über den Arm. Er ließ den Computer an, erhob sich aber pflichtschuldig, obwohl er keinen Hunger hatte.

 

Der Fachkräftemangel.pdf
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